Traditionelle Chinesische Medizin & klassische Akupunktur




©Sabine Löffler-Niesner

Gemäß der chinesischen Philosophie liegt aller Ursprung in dem „mächtigen Einen“ (dào).
Dieses kann man auch als einen dimensionslosen Punkt verstehen, in dem alles weitere enthalten ist.
Durch die Aufspaltung des „mächtigen Einen“ sind „die Zwei“ entstanden, gemeint sind yin und yáng, die Erde und der Himmel.
Wiederum aus diesem entstanden „die zehntausend Dinge“, also Fauna und Flora, der Mensch und alles was von ihnen erschaffen wurde.

   Alles lebendige und unbelebte befindet sich im Spannungsfeld von yin und yáng und unterliegt diesem.
    Daraus ergibt sich, dass man im Zusammenhang mit dem Menschen nicht von yin und yáng   sprechen kann.
    Genauer betrachtet findet man das qì als individualspezifische Anteil des (universellen) yáng und das
    xùe als individualspezifischen Anteil des yin.

Somit könnte man den Menschen, wie auch alles andere zwischen Himmel und Erde (yáng und yin), als qì-xùe-Komplex bezeichnen.
Die Begriffe yin und yáng bleiben globalen Zusammenhängen vorbehalten. Die Auflösung zum reinen Geist oder der gänzliche
Rückzug zur Körperlichkeit ist nur außerhalb des Lebens zu erreichen. D. h. die Trennung von yin und yáng, bzw.
auf den Menschen bezogen von xùe und qì führt unweigerlich zum Tod.
Bei der Erforschung des Kosmos stieß man auf ein ähnliches Phänomen, wie es die chin. Philosophie beschreibt:
sogenannte schwarze Löcher. Diese bilden sich durch extremste Verdichtung von durch unermessliche Kräfte angezogener Materie.
Neben ihnen kann daher nichts anderes existieren. In einem gewissen Stadium kann die Verdichtung in eine Explosion umkippen,
durch die dann neue Planeten oder gar Sonnensysteme entstehen.

Die Wirkrichtung der Funktionskreise

Zur Beschreibung der Wirkrichtung der Funktionskreise ist es nicht ausreichend, lediglich von nach oben oder unten zu sprechen,
denn die Bewegungen einzelner Funktionskreise enden nicht im Körper, sondern gehen über dessen Grenzen hinaus.
So ist z. B. die Wandlungsphase Feuer durch die Darstellung im Außen gekennzeichnet, sie wirkt also über die Körpergrenzen hinaus.
Wèi hat die Funktion des Ansaugens und Aufnehmens, wobei die Stärke des Soges durch den Potentialunterschied zwischen
yin und yáng bzw. zwischen qì und xùe bestimmt wird.
Bei der Aufnahme gleicher Nahrung, gleicher Lebensführung und gleichen Peripherbedingungen bildet doch jeder Mensch aus den
aufgenommenen Lebensmitteln einen einmaligen Körper, individualspezifische struktive Energie (xùe). Dies geschieht durch die
Individualisierung (Prägung) alles aufgenommenen durch shén.
Wenn mehr xùe verbraucht, als aufgenommen wird, entsteht Raum. Wenn im Alter nicht mehr genügend Substanz vorhanden ist
(z. B. Kachexie), kann der Raum (die Körpergrenzen) nicht mehr ausgefüllt werden, es entstehen Falten.
Pí und wèi stehen im Zentrum des Lebens da ihre Funktionen (Input/Output) von essentieller Bedeutung sind.
Die extremen Pole des Lebens werden durch die Wandlungsphasen Feuer und Wasser repräsentiert. Der Weg nach oben-außen
wird durch die Wandlungsphase Holz, der nach unten-innen durch die Wandlungsphase Metall bestimmt. Die Wandlungsphasen
stellen Durchgangszustände dar, die durch ihre Bewegungsrichtung mit einer bestimmten Qualität charakterisiert sind.
Die Intensität der gegenläufigen Bewegungen ist in der Physiologie gleich stark. Nur die Erscheinung im Außen ist unterschiedlich (
Holz/Feuer: schnell; Metall/Wasser: träge)
Aber auch in der Pathologie wird ein Gleichgewicht eingenommen. Dieses wird jedoch nicht im Rahmen der natürlichen Lebensweise
erreicht, sondern nur durch veränderte Verhaltensweisen, symptomatische Medikamente, Krücken und dergleichen künstlich aufrecht
erhalten. Therapeutische Maßnahmen zielen darauf ab, das Gleichgewicht auch ohne diese Hilfsmittel zu erreichen.
Da jeder Mensch in Wechselwirkung mit seiner Umgebung steht, wird eine behandelte Person durch die induzierte Verhaltensänderung
das Gleichgewicht des Gesamtgefüges (Familie, Kollegen, etc.) in Bewegung bringen. Die Umgebung wird unbewußt versuchen,
die Person wieder in die alte Rolle, den alten Zustand zurückzubringen. Durch eine kontinuierlich an ein Gleichgewicht heranführende
und ausreichend lange Therapie kann sich auch das Umfeld an die Veränderung gewöhnen und die neue (oder zurückgewonnene)
Rolle des Behandelten akzeptieren.
Bildlich kann dies mit einer Waage verglichen werden: Das leichte Antippen einer Seite (sanfte Therapie) führt zum harmonischen
Schwingen und kann zu einer Neuausrichtung führen. Eine kräftige Belastung einer Seite führt zum harten Aufschlag und nach
Beendigung der Belastung (abruptes Therapieende) zu einer genauso starken Gegenbewegung.